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Pressemitteilung

Zur Verschiebung des 365 Euro-Tickets

Die beiden Nürnberger ÖDP-Stadtratsmitglieder Inga Hager und Jan Gehrke standen vor einem Dilemma.

Am Mittwoch 30. März 2022 stimmte der Nürnberger Stadtrat über folgenden Antragstext ab:

Von der am 17.06.2020 durch den Stadtrat beschlossenen Einführung eines „365 Euro-Jahresabos für alle" zum 01.01.2023 wird abgesehen.

Die beiden Nürnberger ÖDP-Stadtratsmitglieder Inga Hager und Jan Gehrke tauschten sich im Vorfeld der Sitzung ausführlich aus. Beide waren sich einig, dass die Beschlussfassung sie vor ein großes Dilemma stellte. Letztlich stimmten Hager und Gehrke unterschiedlich ab. Nachfolgend erläutern sie kurz zusammengefasst ihre Beweggründe. Gerne beziehen beide auf Rückfrage ausführlicher Stellung.

Stadträtin Inga Hager:
„Ich befand mich in einem großen Gewissenskonflikt. Einerseits haben wir ein Versprechen gegeben, das jetzt nicht eingehalten werden kann und viele Menschen, die knapp über Sozialhilfe-Niveau leben, maßlos enttäuschen wird. Auf der anderen Seite möchte ich nicht, dass auf Ausbau von Bus- und Bahnlinien verzichtet werden muss, weil alles Geld in günstige Tickets für alle fließen muss. Der Stadthaushalt ist in einer außerordentlich schwierigen Lage, und es ist bisher nicht gelungen, das Umland zum Mitmachen zu bewegen, oder Bund und Land mit an der Finanzierung zu beteiligen.
Obwohl ich die rationalen Argumente der Stadtverwaltung und den Spardruck der Bezirksregierung verstehe, kann ich der Vorlage nicht zustimmen. Ich mache mir Sorgen um die direkte Demokratie und das wertvolle Instrument der Bürgerbegehren und -entscheide. Das Signal, das mit dem Bruch dieses Versprechens gesendet wird, ist verheerend.“
 
Stadtrat Jan Gehrke:
„Mich persönlich hat das Bürgerbegehren für die Einführung eines 365-Euro-Tickets ausschließlich in Nürnberg von Anfang an nicht überzeugt. Die wichtigste Zielgruppe für ein Umsteigen auf den ÖPNV sind meines Erachtens diejenigen, die zu Hunderttausenden an jedem Werktag mit dem Auto nach Nürnberg und zurück pendeln.
Im Juni 2020 war ich froh, dass durch den gefundenen Kompromiss ein Bürgerentscheid für Nürnberg abgewendet werden konnte, und habe dem Beschlussvorschlag zugestimmt, obwohl ich eine Mobilitätsabgabe für alle Bürgerinnen und Bürger, die sie unabhängig davon zahlen, ob sie den ÖPNV tatsächlich nutzen, für zielführender halte als ein 365 Euro-Jahresabo. Dafür waren und sind die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland allerdings noch nicht gegeben. Ich war voller Hoffnung, dass es gelingt, weitere Kommunen und Landkreise im VGN in eine Modellregion für ein 365 Euro-Ticket einzubeziehen und Fördergelder von Land und Bund zu erhalten. Leider ist das nicht gelungen.
Zwar hat die Stadt Nürnberg inzwischen weitere Forderungen des Bürgerbegehrens umgesetzt und z. B. ein Sozialticket für 15 Euro/Monat eingeführt, das monatlich halb so viel kostet wie ein 365 Euro-Jahresabo. Dennoch schmerzt es, den Beschluss von 2020 nun nicht vollständig umzusetzen. Ich halte das in der derzeitigen Haushaltssituation der Stadt Nürnberg und angesichts vollständig ausgebliebener Fördergelder und dadurch ausbleibendem Mitwirken von Nachbarkommunen für die einzig verantwortbare Entscheidung und habe dem Beschluss zugestimmt.
Wir würden sonst viele Millionen Euro jährlich in einen sehr begrenzten Umsteige-Effekt investieren. Vielleicht bringt das von der Bundesregierung kurzfristig geplante 90-Tage-Ticket für neun Euro/Monat ja Bewegung in Richtung einer besseren Finanzierung des ÖPNV. Im übrigen teile ich die Einschätzung von Stadtverwaltung und VGN, dass die Attraktivität des öffentlichen Nahverkehrs zunächst durch Streckenausbau und Taktverdichtung gesteigert werden muss, bevor ein sehr günstiges Ticket zusätzlich zum Umsteigen motivieren kann. In dieser Reihenfolge ist auch die oft zitierte Stadt Wien vorgegangen.“

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