Pressemitteilung
ÖDP-Haushaltsrede zum städtischen Haushalt 2021 im Nürnberger Stadtrat
Krisenzeiten sind nicht nur eine große Herausforderung, sondern auch eine Gelegenheit, grundsätzlich über die Zukunft der Gesellschaft nachzudenken.
von Stadtrat Jan Gehrke am 19.11.2020 in der Meistersingerhalle gehalten
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Besucherinnen und Besucher und Vertreterinnen und Vertreter der Presse,
zunächst möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung ganz herzlich danken: für das intensive Ringen in der Vorbereitung dieser Haushaltsberatungen, für das intensive Ringen um die Frage, welche Investitionen verschoben werden können und wie lange, und auch für das intensive Ringen, wo wir in der Verwaltung noch über das bereits gegebene Maß bei der Haushaltseinbringung hinaus auf Stellenschaffungen, die beantragt waren, verzichten können. Herzlichen Dank für diese geleistete Arbeit und auch für die intensiven Vorbereitungen, damit wir diesen komplexen Haushalt heute so miteinander behandeln können.
Meine Damen und Herren, wir befinden uns, das wissen wir alle, in einer schwerwiegenden Krise. Ich bin aber überzeugt, dass wir diese Krise gemeinsam durchstehen werden. Und ich möchte auch an dieser Stelle allen danken, die sich in diesen Monaten bis zur Erschöpfung einsetzen für die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger, für die Genesung von Bürgerinnen und Bürgern, und für die tägliche Versorgung von uns allen in unserer Stadt.
Krisenzeiten, davon bin ich aber auch überzeugt, sind nicht nur eine sehr große Herausforderung, sondern sie sind immer auch eine Gelegenheit – nämlich eine Gelegenheit, grundsätzlich über die Zukunft der Gesellschaft und damit auch die Zukunft der Stadtgesellschaft nachzudenken. Und deshalb möchte ich ein paar Schwerpunkte in den Mittelpunkt dieser Haushaltsrede stellen. Ich möchte deutlich machen, wo wir andere Schwerpunkte setzen als die Ratskooperation von SPD und CSU.
Ich möchte aber gleich dazu sagen, dass es von uns keinen Überbietungswettbewerb geben wird. Wir haben zu Schwerpunkten, für die wir mehr Geld ausgeben möchten, immer auch Einsparvorschläge an anderer Stelle gemacht. Das kann man sowohl bei unseren Anträgen auf Stellenschaffung als auch auf Nichtschaffung von Stellen sehen, und auch bei unseren Anträgen zum Mittelfristigen Investitionsplan – also insofern kein finanzieller Überbietungswettbewerb von unserer Seite.
Ich möchte zwei Stichworte in den Mittelpunkt stellen: das eine ist das Wort Leere. Und das andere ist die Frage, welche Lehre wir daraus ziehen. Wir haben leere Kassen und die Frage ist, welche Lehre wir daraus ziehen? Ich möchte zitieren, was der Journalist Martin Damerow auf nordbayern.de am 26. Oktober geschrieben hat: „Wenn die Regierungen der Welt nur einen Bruchteil dessen, was sie zur Bewältigung der COVID-Krise in die Wirtschaft pumpen, für eine grüne Energiewende ausgeben, würden wir die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens locker einhalten. Anders ausgedrückt: Das Geld, das wir brauchen, um unseren Planeten langfristig bewohnbar zu halten, ist vorhanden. Die Frage ist, ob wir dem Gebot der Vernunft folgen oder eher das Diktat der Ökonomie in den Mittelpunkt stellen.“
Wir haben in unserer Stadt neben leeren Kassen auch immer mehr Leere in den Gärten und Grünflächen. Die Artenvielfalt, das wissen wir alle, geht zurück. Wir erkennen an, dass die Stadt in Klimaschutz investiert, wir erkennen an, dass die Stadt auch in Energiewendeprojekte investiert. Aber es schmerzt uns, wenn bestimmte Stellen nicht geschaffen werden, die von der Verwaltung beantragt wurden, die aus unserer Sicht keinen Aufschub dulden, weil einfach Klimaschutz keinen Aufschub duldet. Das ist einmal die Nichtschaffung der Stellen für die Biodiversität, zum Beispiel zur Umsetzung des Volksentscheids Artenvielfalt „Rettet die Bienen“, der ja von uns, von der ÖDP, initiiert wurde. Es ist auch die Nichtschaffung der Stelle eines Forstwirts/einer Forstwirtin zum Waldumbau, der aus unserer Sicht auch keinerlei Aufschub duldet. Es ist die Nichtschaffung von Stellen zur Stärkung von Grün im Unterhalt und letztlich auch die Nichtschaffung einer Stelle oder der Erhalt einer Stelle für die Biometropole. Wir haben, wie gesagt, im Gegenzug Einsparungsvorschläge eingebracht.
Der ökosoziale Umbau ist uns besonders wichtig, und ich denke wir sollten die Krisenzeit eindringlich nutzen, um diesen ökosozialen Umbau der Stadtgesellschaft voranzutreiben. Wir haben deshalb auch eine Anfrage an den Oberbürgermeister, an die Stadtverwaltung gestellt, nämlich wie es mit der Prüfung der Klimaauswirkungen von Maßnahmen ausschaut, die hier im Stadtrat beschlossen werden. Das sollte nämlich, laut Beschluss des Stadtrats vom Juli 2019, in jede Stadtratsvorlage aufgenommen werden, und ist bislang noch nicht erfolgt. Es ist aber doch ganz wichtig, dass in jeder Stadtratsvorlage tatsächlich neben anderen Fragen, wie zum Beispiel den Auswirkungen auf Diversität, auch die Auswirkung auf das Klima, wie im Juli 2019 beschlossen, mit angegeben wird, damit wir das als entsprechende Maßgabe auch haben.
Und wir haben einen Antrag gestellt, in der Stadt Nürnberg eine Gemeinwohlbilanz einzuführen. Zunächst in einem ausgewählten städtischen Eigenbetrieb, weil auch dort alle Folgewirkungen, die Unternehmensführung und Investitionen haben, mitberücksichtigt werden. Eine Gemeinwohlbilanz macht dann eben deutlich, was eine unternehmerische Entscheidung für die Zukunft in dieser Stadt bedeutet. Deshalb bitte ich darum, diese Dinge weiter zu verfolgen: in den Stadtratsvorlagen, beziehungsweise auch in Bezug auf die Gemeinwohlbilanz.
Wir haben natürlich auch eine ganz klare Haltung zum Thema Mobilität, meine Damen und Herren. Wir freuen uns, dass in diesem Jahr die Anzahl der Stellen für die Radwegeplanung bzw. Radverkehrsplanung deutlich aufgestockt wird. Wir haben das in den vergangenen Jahren sehr moderat immer wieder gefordert, und es wurde stets abgelehnt. Insofern freuen wir uns, dass es jetzt geschieht. Aber den Radwegebauetat halten wir immer noch für deutlich zu niedrig. Und ich muss schon sagen, wenn wir hören, was an Millionen in den Erhalt des Flughafens gesteckt werden soll, dann sind die 9,7 Millionen Euro, die laut nationalem Radwegeplan für eine Stadt der Größe Nürnbergs angemessen wären, um den Radverkehr voranzubringen, nur ein paar wenige Millionen mehr als das, was die Ratskooperation jetzt langsam aufbaut, bevor Sie dann irgendwann – hoffentlich – tatsächlich in zwei oder drei Jahren bei zehn Millionen Euro pro Jahr ankommen. Wir halten hier den Maßstab einfach für verschoben und falsch.
Und wir sind weiterhin der Meinung, dass der Frankenschnellweg-Ausbau nicht erfolgen sollte. Wir sagen: nicht aufschieben, sondern aufgeben! Es ist ein falsches Signal in dieser Zeit. Wir brauchen eine Verkehrswende – auch das gilt als Investition in die Zukunft der Gesellschaft – und nicht Erhalt von Projekten, die schon lange eigentlich nicht mehr aktuell sind.
Meine Damen und Herren, ein kleiner Betrag, den wir fordern, ist der für die Lastenradförderung. Hier soll in diesem Jahr ausgesetzt werden, nachdem bisher 125.000 Euro pro Jahr eingesetzt wurden. Wir sind damit einverstanden, dass die Investitionen, also die Zuschüsse, reduziert werden. Aber wir halten es für falsch, etwas, was so erfolgreich war, ein ganzes Jahr aussetzen zu lassen. Deshalb schlagen wir vor – sie finden das in unserem MIP-Änderungsantrag –, auf dem niedrigen Niveau von 30.000 Euro im Jahr, den Sie für 2022 wieder vorsehen, die Lastenradförderung weiterzuführen und dann langsam wieder anzuheben, so wie Sie es ja auch Jahr für Jahr vorhaben.
Ein weiteres wichtiges Thema ist uns – das haben wir auch in der Grundsatzerklärung im Mai deutlich gemacht – die Inklusion, meine Damen und Herren. Und hier werden in der Stadt Nürnberg Einzelprojekte vorangetrieben, hier geschieht etwas, hier wird, verwaltungsintern, bereichsübergreifend gearbeitet. Aber leider haben wir immer noch keinen Gesamtplan. Wir haben noch keinen städtischen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Und wir bitten sehr darum, das nicht schleifen zu lassen. Es ist sonst einfach zu befürchten, dass im Rahmen der finanziellen Einschränkungen in den einzelnen Bereichen solche Sachen wie „Inklusion vorantreiben“ dann doch am Ende runterfallen. Wir möchten dort klare Vorgaben haben, klare Entscheidungen des Stadtrats, an die dann auch tatsächlich Gelder geknüpft sind, mit denen wir arbeiten können, um Inklusion konsequent voranzutreiben. Deshalb haben wir beantragt – in geringerem Umfang als ursprünglich von der Verwaltung vorgesehen – im „Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne“ Personal zur Verfügung zu stellen, um hier die inklusiven Angebote voranzubringen.
Abschließend noch kurze Statements zum Thema Kultur und Bildung:
Wir sind sehr einverstanden, dass hier die Zuschüsse, die im letzten Jahr gezahlt wurden, nicht gekürzt werden, sondern dass sie auch in schwierigen Zeiten weiterhin für die Kultureinrichtungen in gleicher Höhe bestehen bleiben. Wir sind auch einverstanden, dass so, wie es vorgeschlagen ist, in Bildung investiert wird. Wir brauchen natürlich neue Gebäude und neue Orte in den Wohngebieten, die neu entstehen, und auch Sanierungen, damit Schüler und Schülerinnen, Kinder und Jugendliche, gut ausgebildet werden können. Und wir teilen die Meinung, dass wir deutlich mehr Mittel aus Berlin und München benötigen – selbstverständlich. Gerade im Hinblick auf die von mir angesprochenen und von der Verwaltung beantragten Stellen zum Thema Artenvielfalt und Klimaschutz, sollte die Stadt aus unserer Sicht dringend auch mit Bund und Land darüber verhandeln, wie diese Stellen gedeckt werden und doch im nächsten Jahr geschaffen werden können.
Die Coronakrise, meine Damen und Herren, lehrt uns: Wenn der dringende Bedarf erkannt wird und zum Handeln treibt, wird Geld locker gemacht, auch wenn es, sehr unerfreulicher Weise, zu einer hohen Neuverschuldung führt. Und das muss auch für Klimaschutz, Artenvielfalt, die Verkehrswende und die konsequente Umsetzung von Inklusion gelten. Wir Stadtratsmitglieder der ÖDP werden im Rahmen dieser Haushaltsberatungen noch miteinander darüber reden, ob wir dem Haushalt in der vorgelegten Form und so, wie dann die Beschlüsse fallen, zustimmen können. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!
Hinweis: Da keiner der Anträge der ÖDP-Stadtratsmitglieder zum Haushalt 2021 Unterstützung der Rathausmehrheit erhielt, lehnten wir den Gesamthaushalt letztlich ab.